Ätherische Öle und ihre Wirkung auf Tiere

Der Geruchssinn ist Bestandteil unseres Lebens. Jemandem, den wir „gut riechen können“ schenken wir ein Lächeln, fühlen uns wohl in seiner Nähe und wenn uns etwas „stinkt“, empfinden wir Ärger und Wut. Der Duft einer Rose kann uns bezaubern und das Bukett eines Weines das Kennerherz höher schlagen lassen. Doch Aromen können viel mehr. Schon im alten Ägypten wurden Duftstoffe und Pflanzenteile zur Heiltherapie und für Rituale eingesetzt. Heute sind ätherische Öle aus der Humanmedizin nicht mehr wegzudenken. In der Tierheilkunde setzen bisher nur wenige Therapeuten in Deutschland auf die Wirkung der Aromatherapie. Dabei sind die Behandlungserfolge beindruckend.

Naturheilmittel sind im Trend. Ob in Salben, Tees, Badezusätzen oder pur – für jedes Weh scheint im wahrsten Sinne des Wortes ein Kraut für Mensch und Tier gewachsen. Besonders der Handel mit ätherischen Ölen boomt gewaltig. Die Heilwirkung der feinen Duftstoffe beim Menschen ist unumstritten und auch Tierheilkundler setzen mehr und mehr auf die Wirkung ätherischer Öle. Doch wer meint, ein Tropfen Rosenöl in der Duftlampe sei bereits eine Aromatherapie, irrt gewaltig, denn die richtige Anwendung ätherischer Öle will und sollte gelernt sein. Ohnehin sollte man ätherische Öle nicht erhitzen, denn sie verlieren dadurch ihre Wirkung. Besonders bei empfindlichen Hundenasen ist eine fachkundige Beratung unerlässlich, denn falsch dosiert können ätherische Öle starke Nebenwirkungen haben

Aroma-Pioniere

Kerstin Ruhsam, ärztlich geprüfte Aromapraktikerin aus Österreich, gehört zu den Pionieren auf diesem Gebiet: „Bei meiner Arbeit als Hundefriseurin fiel mir auf, dass die Produkte zur Hundepflege überhaupt nicht hundegerecht sind.“ Ihre Affinität zur Naturheilkunde führte die gelernte Tierphysiotherapeutin schließlich in die (in Österreich anerkannte) Ausbildung zur Aromapraktikerin. „Natürlich war die Ausbildung auf die Anwendung beim Menschen ausgelegt“, erklärt Ruhsam, „aber ich hatte von Beginn an den Hintergedanken, dies für Hunde umzusetzen.“ Erste Heilerfolge bei den eigenen Hunden machten Mut. Mittlerweile hat sie ein Buch darüber geschrieben. Das einzige im deutschsprachigen Raum.

Qualifikation genau prüfen

Zweite Pionierin in Sachen Aromatherapie für Tiere ist Gabriele Sievers aus Uelzen in der Lüneburger Heide. Die gelernte Krankenschwester liebt seit frühester Kindheit nicht nur „alles was duftet“, sondern auch ihre zahlreichen „Fellnasen“, wie ihre Hundeschar liebevoll genannt wird. Ihre zweijährige Ausbildung zur Aromapraktikerin absolvierte sie bei Eliane Zimmermann, die als Mitbegründerin der Aromatherapie in Deutschland gilt und als einziges Institut eine fundierte Ausbildung mit Abschlussprüfung unter ärztlicher Aufsicht hierzulande anbietet. „Je besser die Ausbildung, desto weniger passiert“, konstatiert Gabriele Sievers, die vor unseriösen Angeboten nur warnen kann. „Zertifikate bekommt man doch an jeder Ecke für ein Appel und ein Ei. Man besucht ein paar Stunden ein Wochenendseminar und schon nennt man sich Aromatherapeut oder Experte. Die Gesetze sind sehr schwammig und die Begriffe nicht gesetzlich geschützt.“ Darum sollte sich jeder Hilfesuchende genauestens die Qualifikation des Therapeuten anschauen.

Bahnbrechende Erfolge

Doch was können ätherische Öle überhaupt und warum sind sie falsch angewendet so gefährlich?

„Generell können ätherische Öle bei allen Therapieformen unterstützend eingesetzt werden“, so Dr. Christian Guse, Tierheilpraktiker und Apotheker aus Bayern. Große Erfolge erzielte der Heilpraktiker beim so genannten „Zwingerhusten“, einer Mischinfektion aus viralen und bakteriellen Erregern. „Bei Atemerkrankungen ist es besonders schwierig, den Hund durch eine inhalative Therapie zu führen“, erklärt Dr. Guse. Schließlich kann man die Hundenase schlecht in einen Inhalator stecken. Daher wird Zwingerhusten schulmedizinisch meist mit Tabletten behandelt. Einfacher und ohne Nebenwirkungen funktioniert hier die Aromatherapie. Mittels eines „Verneblers“ wird eine Mischung aus Thymian, Eukalyptus und Ravenzara (verwandt mit dem Teebaumöl) über einen Luftstrom in einen Raum geleitet. Der Hund kann gemütlich in seinem Körbchen schlummern, während er die heilenden Aromen einatmet. Eine Heilquote von 100 Prozent hat Dr. Guse bisher bei seiner Ölmischung zur Behandlung von Pilzinfektionen bei Schlappohren erzielt. Der Erfolg ist bestechend. „Ich habe in meiner Praxis noch keinen Hund gesehen, bei dem die Therapie nicht anschlug“, erklärt Dr. Guse stolz.

Kleine Wunder bei Traumata

Bei psychischen Störungen und traumatisierten Hunden können ätherische Öle durchaus kleine Wunder bewirken. Gabriele Sievers weiß dies aus eigener Erfahrung. „Eine Freundin bat mich einen Hund aus einem beschlagnahmten Wurf zu übernehmen. Die Welpen waren schrecklich misshandelt worden, hatten aber überlebt. Als ich Max zum ersten Mal sah, völlig verängstigt und traumatisiert, wollte ich den Hund nicht haben. Er ließ sich nicht anfassen und rannte weg, sowie man sich näherte. Als ich zurück zum Auto ging, spürte ich etwas im Rücken. Ich drehte mich um und blickte in die traurigen Augen des kleinen Huskies, die einfach nur flehten: ‚Bitte, nimm mich mit!‘.Und tatsächlich sprang er in unser Auto. Als wir zuhause ankamen, legte sich der kleine Kerl auf den Boden und schrie 45 Minuten lang ununterbrochen. Ich saß heulend daneben und fragte mich, warum ich mir das antue. Die ersten Monate waren entsetzlich, kein Duft half und dann, eines Tages, stibitzte Max eine Vanilleschote vom Küchentisch.“ Der Bann war gebrochen. Gemeinsam mit einer Tierheilpraktikerin und der Lektüre der englischen Aroma-Ikone Caroline Ingraham wurde „sein Duft“ entwickelt und es gelang, was niemand für möglich gehalten hatte. Max wurde zutraulicher und konnte trotz seines Traumas ein fast normales Hundeleben führen.

Auf keinen Fall pur

Einfacher und weniger dramatisch sind die Anwendungen ätherischer Öle bei kleinen Wunden und zur Fellpflege. Als wahren „Tausendsassa“ bezeichnet Kerstin Ruhsam das Lavendelöl, das schmerzstillend, antiseptisch und beruhigend wirkt. „Auch Rose, Rosengeranie, Neroli und Petit Grain sind bei fachgerechter Anwendung unbedenklich“, erklärt die Aromapraktikerin. Fachgerechte Anwendung ist bei ätherischen Ölen nicht nur entscheidend, sondern verhindert gefährliche Nebenwirkungen. „Auf keinen Fall sollten ätherische Öle pur angewendet werden“, warnen alle Experten übereinstimmend. „Stellen Sie sich vor, dass sechs Kilo Rosen notwendig sind, um einen Milliliter ätherisches Rosenöl zu erzeugen“, erläutert Dr. Guse. „Die Konzentration ist so hoch, dass die heilende Wirkung nur in einer hohen Verdünnung eintreten kann.“ Ist selbst diese noch zu hoch, kommen Hydrolate zum Einsatz, die bei der Destillation zur Gewinnung ätherischer Öle entstehen. Das wohl bekannteste Hydrolat ist das Rosenwasser, als Zusatz vieler Kosmetikprodukte seit Jahrhunderten unverzichtbar.

Auf die richtige (Hunde)-Nase kommt es an

So heilend und wohltuend die richtige Dosierung und Behandlung ist, so gefährlich können Anwendungen mit puren Ölen sein. Besondere Vorsicht ist bei allen Thymol- und Phenolarten geboten. Thymian und Teebaumöl können Hautreizungen bis zu Verätzungen hervorrufen. Teebaumöl wirkt in hoher Konzentration lebertoxisch. Eukalyptus und Kampfer können Atemnot auslösen und Gewürznelke und Wintergrün gehören ebenfalls zu den stark wirkenden Ölen. Auch eine falsche Anwendung in verdünnter Form birgt Gefahren. Daher sollte vor jeder Anwendung die Diagnose eines Tierarztes oder Tierheilpraktikers stehen. Aufgrund dieser Diagnose kann der Aromapraktiker die notwendigen Öle zusammenstellen und eine Behandlung einleiten. „Oberstes Gebot ist natürlich, dass der Hund den Duft auch mag“, erklärt Kerstin Ruhsam. „Läuft der Hund weg, ist es nicht die richtige Therapie für ihn.“ Dr. Guse empfiehlt einen einfachen Test: „Tupfen Sie das Öl oder das Hydrolat auf ein Taschentuch und legen es neben einem Lieblingsplatz. Geht das Tier dorthin, schnüffelt vielleicht sogar daran, ist alles gut.“ Bei Anwendungen auf der Haut sollte in jedem Fall, auch bei richtiger Verdünnung, ein Test durchgeführt werden. „Dies macht man am besten an einer Stelle, wo kein Fell ist, zum Beispiel unter den Hinterläufen“, so Dr. Guse.

Aromatogramme helfen heilen

Trotz durchschlagender Erfolge steckt die Aromatherapie für Tiere hierzulande noch in den Kinderschuhen. Dr. Guse hält eine universitäre Forschung auf dem Gebiet für wünschenswert: „An den deutschen Universitäten hat man leider mit Naturheilkunde nicht viel am Hut. Dabei wären wissenschaftliche Ergebnisse gerade im Bereich der Dosierung von ätherischen Ölen bei innerlicher Anwendung sehr wichtig.“  Auch der Einsatz von so genannten Aromatogrammen hält Dr. Guse für sinnvoll. Diese werden mittels eines Nasenabstrichs erstellt. „Hierzu werden im Labor die beim Abstrich gewonnenen Keime im Labor gezüchtet und der Therapeut kann daraufhin die entsprechenden Öle, die gegen diese Keime helfen, einsetzen“, erläutert Dr. Guse. „Bei bestimmten Krankheiten werden durch den Tierarzt ohnehin Abstriche gemacht, sodass man ein Aromatogramm gleich miterstellen könnte und so eine weitere Therapiemöglichkeit hätte.“

Auch Kerstin Ruhsam und Gabriele Sievers wünschen sich mehr Offenheit der Tierärzte gegenüber der Aromatherapie. Vielleicht würde hier etwas Rosenöl helfen, denn das soll ja sogar Herzen öffnen können.  (Claudia Bonvie)